Kleiner Rückblick der letzten Wochen :
Die Zeit vergeht, vergeht, schnell und schneller unbemerklich und unaufhaltbar. Vor mehr als 4 Monaten haben wir unseren Hafenplatz bei Nantes verlassen und sind seither über 2000 Seemeilen (1 Seemeile = 1,852 km) gesegelt. Mit dem Flugzeug ist das keine grosse Entfernung, mit einem kleinen Segelschiff eine grosse Herausforderung, aber machbar. Ihr habt es sicher schon verstanden, dass man beim Segeln sehr wind-und wetterabhängig ist, es sei denn man geht kleinere oder auch grössere Risiken ein. Philippe will kein Risiko eingehen, er bleibt lieber eine Woche länger im sicheren Hafen liegen auch wenn er teuer ist… mit zwei Kindern an Bord braucht man da nicht lang zu überlegen!
Was hat uns eigentlich zu dieser Reise bewegt? Ganz einfach: wir haben unseren langjähigen gemeinsamen Traum wahr gemacht und schenken uns ein Jahr Freiheit und FREIE ZEIT. Wir wollten etwas tun, was unserer Existenz einen tieferen Sinn verleiht und gleichzeitig unser Leben und das anderer Menschen bereichert. Wir wollten andere Orte besuchen und Menschen kennen lernen, mit ihnen sprechen und Erfahrungen austauschen. Neues erfahren und neue Dinge lernen. “Im Leben kommt es nicht darauf an, was man besitzt, sondern darauf, was man tut.”
Als wir Mitte Oktober an der Westküste Siziliens angekommen sind, hatten wir noch das Ziel recht schnell nach Griechenland überzusetzen und die Wintermonate in der Türkei zu verbringen. An Sizilien wollten wir mehr oder weniger nur vorüber "huschen". Doch das Wetter (starke Windböen und rauhe See) haben uns mehrmals dazu gezwungen in verschiedenen Häfen zu pausieren und abzuwarten. So waren wir 4 Tage auf der Insel FAVIGNANA, eine der drei EGADE-Inseln an der Nordwestküste Siziliens. Ein teurer Hafen ohne sanitäre Anlagen, und dazu Wind und Regen mit zwei Kindern auf einem kleinen Schiff, wunderbar, traumhaft!!! – das war eher ein schlechter Traum, vielleicht sollte ich den zweiten Abschnitt meines Berichtes doch ein bisschen abändern. Aber auf der anderen Seite mögen wir kleine Abenteur und lieben die Natur mit all ihren Facetten. Man kann eben in einem Jahr nicht nur schönes Wetter und gute Laune haben. Wir haben in diesen Tagen viel Zeit mit unseren spanischen Freunden verbracht, einmal im Restaurant gegessen, leckers italienisches Eis mit den Kindern geschleckt (auch bei schlechtem Wetter schmeckt es himmlich), die Insel erkundet, Einkäufe erledigt, ein Museum besucht, die Kinder unterrichtet, gespielt, gelesen, geschrieben, gekocht, etc.
Javier (unser spanischer Freund) und Philippe haben zusammen beschlossen, an der Südküste Siziliens vorbei zu segeln und nicht wie wir es einmal geplant hatten, an der Nordküste entlang. Im Norden gibt es noch ein paar Inseln mit aktiven Vulkanen – STROMBOLI und VULCANO- die wir gern besucht hätten. Wenn man nachts an STROMBOLI vorbeisegelt, soll das Spektakel einmalig sein. Na ja, nicht schlimm, vielleicht auf unserer nächsten Reise oder auf dem Rückweg…
Wir haben den Hafen von FAVIGNANA an einem frühen Nachmittag verlassen. Wir hatten geplant mehr als hundert Meilen zu segeln und den Hafen von LICATA anzusteuern. Doch schon nach den ersten 50 Meilen drehte der Wind auf Ost, also gegen uns. (Unser Boot stand im Wind, und die Segel begannen zu killen. In diesem Fall kann kein Vortrieb mehr erzeugt werden.) Wir hätten natürlich unser Ziel durch "Kreuzen" erreichen können, aber dies verlängert natürlich wesentlich die Route und mit zwei Kindern an Bord versuchen wir diese Situation wenn möglich zu vermeiden. Zu dem “Gegenwind” kamen auch die Strömung (wenn auch nur leicht) und die Wellen aus östlicher Richtung – von Segeln konnte keine Rede mehr sein. Philippe setzte den Motor ein, damit wir wenigstens ein bisschen Geschwindigkeit beibehalten konnten. Nach einem Blick auf die Karte um 2 Uhr nachts, haben wir entschieden, in dem nächstliegenden Hafen von SCIACCA Halt zu machen und abzuwarten, bis der Wind wieder dreht. Ich finde es simmer spannend, doch keineswegs beängstigend, einen Hafen mitten in der Nacht anzufahren. Philippe kennt seine Navigationsinstrumente perfekt, macht Berechnungen mit Hilfe der modernen GPS-Geräte, die uns immer unsere genaue Position angeben können. Die Lichtsignale der Hafeneinfahrten sind schon von einer Entfernung von 2 bis 4 Seemeilen je nach Sicht mit einem Fernglas gut auszumachen. Wir mussten dennoch sehr aufpassen, da viele Kutter aus dem Hafen liefen, um ihre Fischernetze vor der Küste auszuwerfen. Gegen 5 Uhr lag das Schiff dann endlich am Steg, im seichten Gewässer des schützenden Hafens. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und wir haben die frühen Morgenstunden dazu genutzt, um uns ein wenig auszuruhen, bevor unsere kleinen Piraten nach einer guten Nacht wieder topfit aus ihrer Kajüte krabbelten.
(Kleine Erklärung der Windrichtungen beim Segeln. Unser Schiff und auch viele andere segeln sich am angenehmsten bei halben Wind oder Raumschots. Bei Windstärke 3-4 Beaufort (15-20 Knoten) kann die Mannschaft sich ohne Probleme auf dem Schiff bewegen und auch in der Kajüte alltäglichen Aktivitäten nachgehen.)
Nicolas wollte sogar seine Schulaufgaben machen, doch nach einer langen Segelnacht ohne Schlaf war seine Lehrerin für einen Tag “krank geschrieben”. Er war gar nicht richtig enttäuscht darüber!!!
Wir haben erst einmal unsere neue Umgebung und die Hafenanlage erkundet, hier und da mit anderen Seglern oder den “Marinieros” des Hafens diskutiert. Die Anlage war sehr gepflegt und sauber, mit sanitären Anlagen ausgestattet (endlich noch mal eine warme Dusche!). Es gab sogar eine Waschmaschine (das ist für eine vierköpfige Familie kein Luxus) und ein kleines Restaurant (der Inhaber hat 30 Jahre lang ein 4-Sterne Hotel in Deutschland geführt). An diesem Abend habe ich nicht gekocht, wir waren aus und haben es uns richtig gut schmecken lassen. Sogar am nächsten Morgen haben wir uns verwöhnen lassen: Frühstück im Restaurant mit italienischen Hörnchen und gutem Kaffee. Was für ein Luxus!
In den darauffolgenden Tagen haben wir die Stadt erkundet, die wohl eine der ältsten Städte Siziliens ist. Sie ist bekannt durch ihre Heilquellen und natürlichen “Schwitzgrotten” des Monte San Calogero, die die Bewohner schon im 7. Jahrhundert v.Chr. zu nutzen wussten. Vom Hafen bis in die Innenstadt waren es ca. zwei Kilometer zu Fuss - immer bergauf. Die Stadt liegt an einer Bergwand und zählt hunderte von Treppenstufen, manchmal sehr schön mit Keramikplättchen verziert. Leider sind die meisten Häuser sehr alt und benötigten dringend Renovierungsarbeiten, aber Sizilien zählt zu der ärmsten Region Italiens und das Geld fehlt an jeder Ecke. Die Abwässer werden –leider- an verschiedenen Stellen der Stadt direkt ins Meer geleitet. Stranspaziergänge haben wir hier nicht gemacht. Aber die Aussicht “von oben” war bezaubernd, ein wunderschöner Ausblick über die Stadt, den Hafen und das offene Meer.
Wir haben uns in dieser Stadt sehr wohl gefühlt und eine “kleine” wohltuende Pause eingelegt (die letzten Endes einen Monat angedauert hat). Der Hafen und die Menschen waren sehr freundlich, auch wenn die Sprachbarriere recht gross war. Doch die Kinder kamen auf dem Spielplatz immer recht schnell mit anderen Kindern – nicht gerade ins Gespräch, aber ins Spiel. Die ersten Tage warteten wir auf günstigere Windbedingungen, die aber nicht eintrafen. Das hat uns eigentlich gar nicht so richtig gestört. Wir waren müde von den letzten Segelwochen und sehnten uns nach einer längeren Pause. Wir hatten zudem im Hafen ein nettes französisches Rentnerehepaar kennen gelernt, mit denen wir viel zusammen gelacht und ein paar Ausflüge unternommen haben. Cécile hat Nicolas von ihren Aquarellen begeistert und er hat von sich aus damit angefangen, selber Aquarelle zu malen. Das nehmen die stolzen Eltern doch ohne Zögern an… Serge hat ihm ein paar Zaubertricks beigebracht, die er mittlerweile schon richtig gut allein hin bekommt.
Das Klima und die vielfältige Landschaft dieser Insel haben uns sehr gefallen. Sizilien hat ausserdem eine interessante und sehr abwechslungsreiche Geschichte aus der vorchristlichen Zeit. Die Insel besitzt viele antike Reichtümer und beeindruckende Bauten wie die griechischen Tempel und Amphitheater, die wohl zu den besterhaltenden Bauten aus dieser Zeit in der ganzen Welt zählen. Wir sind in verschiedene Städte gefahren - nach Agrigento, Segeste und Selinunte – und haben mit den Kindern die Ruinen und noch erhaltenen Tempel aus dem 7./8. Jahrhundert vor Christus bewundert. Wir waren begeistert und kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus (Fotos im Album).
In dieser Zeit haben wir dann beschlossen, unser Winterquartier von der Türkei (zu weit mit unseren zwei Matrosen und das Wetter zu unsicher im November), nach Tunesien zu verlegen (von Sizilien nach Tunesien sind es nur knapp 160 Seemeilen – ca. 32 Stunden, bei einer Geschwindigkeit von 5 Knoten pro Stunde).
Die Überfahrt von Sizilien nach Tunesien war nicht die angenehmste. Bis auf unseren Kapitän waren wir alle ein bisschen seekrank. Unter Seglern sagt man sich oft: “Die ersten drei Tage und Nächte sind die unangenhmesten, danach hat sich der Körper an die ewige Schaukelei gewöhnt. Am besten segelt man gleich einmal um die Welt, ohne anzuhalten…” Na, so weit sind wir noch nicht!
Wir sind an der italienischen Insel PANTELLERIA vorbeigesegelt, die sehr schön und ansehnlich sein soll – vulkanischer Ursprung. Nach 27 Stunden Segeln und einer schlaflosen Nacht (aber nicht für die Kinder, sie schlafen beim Segeln wie Siebenschläfer – egal ob starker Wind, Wellengang oder mit Motorengebrumm) sind wir morgens gegen 6 Uhr in den Hafen von Monastir an der Ostküste Tunesiens eingelaufen. Das war vor zwei Wochen. Die Hafenanlage ist gross und weiträumig, umgeben von kleinen Restaurants und ansehnlichen 2- bis 3-stöckigen weiss-blau angestrichenen Häusern. Die Innenstadt (Medina) ist gut zu Fuss zu erreichen, aber es gibt hier unzählige Taxis, die für weniger als 2 Dinars (1,04 €) durch die Stadt fahren. Auf dem Markt bekommt man täglich (ausser montags) frisches Obst und Gemüse in einer unglaublichen Vielfalt. Ich liebe diesen Rummel und das Gewühle, auch wenn es in den ersten Tagen ein bisschen ungewohnt war. Hier gibt es wirklich alles: Fleisch, Fisch, Eier, Brot, Tomaten (20 cents/kg), Möhren, Suppengemüse, Kartoffeln (35 cents/kg), Artischocken (30 cents/3 Köpfe), frische Erbsen (60 cents/kg), Fenchelknollen, Zucchinis, Auberginen, Salatköpfe, Hülsenfrüchte aller Art, Griess für den bekannten Couscous, Kichererbsen, Reis, Erdbeeren, Mandarinen, Orangen (50 cents/kg), Äpfel, Birnen, Melonen, Datteln (es war gerade Erntezeit), Oliven (werden auch gerade geerntet) und natürlich jede Menge scharfe Paprikaschoten, Gewürze und und und. Die Wahl ist gross!
Ich habe ein paar Rezepte aus einem tunesischen Kochbuch fotokopiert und werde bald mal ein paar lokale Leckerspeisen selbst vorbereiten. Ihr habt es verstanden, das Leben ist nicht teuer hier, aber der grösste Teil der Bevölkerung verdient weniger als 500 € im Monat. Da kann man verstehen, dass der gewöhnliche Tourist doch häufiger mal angebettelt oder “übers Ohr gehauen” wird. In den ersten Tagen wurden wir an jeder Ecke angesprochen, wir sollten hier eine Rose kaufen, dort einen Teppich, hier eine Ledertasche, dort eine Kutschefahrt machen, ein paar Bonbons für die Kinder, usw. Es ist anstrengend, immer nein sagen zu müssen, Ausreden zu finden und manchmal geben wir einfach nach. Durch die politischen Probleme im letzten Frühjahr hat sich die Situation für viele Tunesier mit Sicherheit nicht verbessert und es sind natürlich viel weniger Touristen im Land als sonst. Aber es ist “ruhig” hier an der Küste, wir machen uns keine Sorgen. Wir wollen das Land in den nächsten Wochen erkunden, mit dem Zug oder Auto ins Innland fahren, es gibt viel zu sehen und zu erfahren. Wir sind neugierig, vorsichtig, aber nicht ängstlich.
Im Hafen selbst wohnen viele Europäer (Engländer, Italiener, Spanier, Deutsche und Franzosen), aber auch Australier auf ihren Schiffen und warten auf das kommende Frühjahr, um wieder segeln zu können. Unser soziales Umfeld ist also recht vielfältig. Die Kinder fühlen sich auch sehr wohl. Die Hafengebühren liegen bei 190 € “Miete” für unser Schiff, inklusive Strom, Wasser und wifi-Anschluss. Das liegt weit unter den europäischen Preisen…
Wir wünschen euch eine schöne vorweihnachtliche Zeit und senden euch ein paar wärmende Sonnenstrahlen aus Tunesien.
Bis bald.